Bedächtige Jugend

Brahms’ Requiem mit dem Schweizer Jugend-Sinfonie-Orchester

Es kommt nicht alle Tage vor, dass die Konzertbesucher Mühe haben, einen Veloparkplatz vor der Zürcher Tonhalle zu finden. Ein bunter Kranz von Drahteseln säumt den Eingang, und er lässt erahnen, dass ein besonderes Ensemble zu Gast ist, eines, das den schon sprichwörtlich gewordenen grauen Teppich im Auditorium aufzumischen vermag. Es ist das Schweizer Jugend-Sinfonie-Orchester, das hier den Abschluss seiner Herbsttournee feiert, nachdem «Ein deutsches Requiem» von Johannes Brahms erklungen war. Erst ganz zum Schluss tosten die Orchestermitglieder, beklatschten einander in jugendlichem bermut.

Zuvor aber zeigten sie sich mit einer Ernsthaftigkeit, die staunen machte. Konzentriert und ruhig, zuweilen auch pointiert interpretierten sie Brahms’ Requiem, mit ausgesuchter Sauberkeit und einem Feinschliff, der den Vergleich mit manch professioneller Formation nicht zu scheuen braucht. Die jugendliche Verve hingegen, die emotionale Intensität oder die so oft gelobte Frische stellte sich nicht ein.

Gewiss: Brahms’ Requiem lädt nicht gerade zum berschwang ein, doch den betont gemässigten Tempi, mit denen Dirigent Kai Bumann durch das Werk führte, haftete etwas beinahe Betuliches an. Er konzentrierte sich auf die grossen Bögen, und er führte das Orchester über Strecken mit leichter, lichter Klanglichkeit hin zu kurzen, aber mächtigen Vollklangepisoden die Stringenz, mit der es etwa die «Toten auferstehen» liess, war beeindruckend.

Dazu sang der fast hundertköpfige L’Accroche-Choeur aus Freiburg mit Sorgfalt und Qualität in der Balance wie in der Wahl der Farben. Doch durch den zumeist langsam-gleichförmigen Deklamationsrhythmus liess er sich zu einer ebensolchen Aussprache verleiten und die Möglichkeit, mit bewusst gesprochenen Worten den Klangfluss zu beleben, wurde nur von den Solisten genutzt. Angela Kerrisons warmer Sopran, noch mehr aber Simon Schnorrs biegsamer Bariton waren so die klangliche Würze in dieser schlanken, zuweilen aber allzu bedächtigen Brahms-Interpretation.

Jenny Berg